Dienstag, 16. Dezember 2008
Schnipp-Schnapp – eine Kastration ist gar nicht schlimm!
Dies ist ein Gasteintrag von meiner Kollegin Tanja, die ich gebeten hatte, ihr Wissen mit uns zu teilen. Vielen lieben Dank! :)
Immer wieder höre ich „Ne, ich lass meinen Hund nicht kastrieren. Das ist ein Eingriff in die Natur!“ oder auch „Unsere Hündin muss erst einmal Welpen bekommen haben, bevor sie kastriert wird.“ und ähnliche – mit Verlaub merkwürdige Argumente gegen die Kastration.
Mit diesen Vorurteilen möchte ich an dieser Stelle einmal – aus eigener Sicht und aus der Sicht der Tierarzthelferin – aufräumen.
Märchen Nr. 1 – eine Hündin muss einen Wurf Welpen bekommen
In deutschen Haushalten leben geschätzte 5,3 Millionen Hunde. Gehen wir mal davon aus, dass die Hälfte, also 2,6 Millionen, davon weibliche Tiere sind und jede Hündin einen Wurf von durchschnittlich 5 Welpen in Ihrem Leben bekommt, können wir uns wohl alle ganz schnell vorstellen, was dann passiert. Es würde jede Menge ungeliebten Nachwuchs geben und die ohnehin schon überfüllten Tierheime wären völlig überfordert. Schon allein aus dem Grund sollten Hündinnen schnellstmöglich kastriert werden.
Märchen Nr. 2 – eine Hündin muss mindestens eine Läufigkeit hinter sich haben, bevor sie kastriert wird
Aus meiner Erfahrung und meinen Erlebnissen während meiner Ausbildung zur Tierarzthelferin kann ich nur sagen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Denn zum einen kann auch schon die erste Läufigkeit eine ungewollte Schwangerschaft hervorrufen. Dann wären wir wieder bei dem Problem, wie in „Märchen 1“ beschrieben. Zu anderen sinkt das Krebsrisiko bei Hündinnen, die noch vor der ersten Läufigkeit kastriert werden, erheblich. Und schon nach der 3. Läufigkeit ist eine Tumorvorbeugung durch Kastration nicht mehr möglich. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken ist bei einer Kastration nach der 3. Läufigkeit genauso hoch, wie bei unkastrierten oder später kastrierten Hündinnen. Nun mögen Sie meinen, das Krebsrisiko sei generell nicht so hoch. Aus meinen Erlebnissen in der Kleintierpraxis muss ich leider Gegenteiliges berichten. Neben Kastrationen – sowohl bei Hündinnen, wie auch bei Rüden – wurden am häufigsten Mamatumore (Brustkrebs) operativ entfernt. Oft mit leider keinem guten Ausgang, da die Lebenserwartungen auch nach der Operation deutlich zurückgesetzt ist. Mamatumore gehören übrigens zu den häufigsten Krebserkrankungen einer Hündin. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Hündin an Brustkrebs- oder Gebärmutterkrebs erkrankt, kann durch eine Kastration noch vor der ersten Läufigkeit um ein Vielfaches reduziert, oder gar komplett ausgeschlossen werden. Weiter leiden Hündinnen oft an Scheinträchtigkeiten, was besonders für die Psyche der Tiere – und oft auch für deren Halter - extrem belastend ist. Mit einer Kastration noch vor der ersten Läufigkeit sorgen Sie also für eine größere Wahrscheinlichkeit für ein längeres, leidfreies Leben der Hündin!
Märchen Nr. 3 – Eine Kastration ist ein Eingriff in die Natur
Eine Kastration ist ein operativer Eingriff und so gesehen natürlich auch ein Eingriff in die Natur. Aber stellen wir uns doch einmal folgende Situation vor: Ihr Hund läuft glücklich über die freien Felder und plötzlich kommt ein Auto, natürlich vie zu schnell, und erwischt Ihren Liebling bös. Er jault, blutet, kann nicht aufstehen und hat ganz augenscheinlich Schmerzen. Sicher würden Sie den Hund umgehend in die nächste Tierklinik bringen in der Hoffnung, dass durch eine Operation alles wieder gut wird. Ein Eingriff in die Natur? Besser den Hund liegen lassen und schauen was passiert? Oder nehmen wir ein anderes, weniger dramatisches Beispiel: Ihr Hund leidet zunehmend an einer Hüftgelenkdysplasie – kurz HD. Diese Erkrankung der Hüftgelenke kommt leider sehr häufig bei großen Hunden vor, dennoch gibt es hervorragende Methoden, dem Tier durch eine operativen Eingriff ein schmerzfreies Leben zu führen. Den Hund lieber weiterhin leiden lassen, statt zu operieren?
Beide Fälle sind unterschiedlich und doch im Grunde gleich. Durch eine Operation wird den Tieren zu einem leidensfreien Leben verholfen. Eine Kastration ist im Grunde nix anderes. Wie bei „Märchen 2“ beschrieben, beugen Sie wirklich schlimmen Erkrankungen bei Hündinnen vor. Doch auch Rüden können durch eine Kastration nur gewinnen.
Kastrierte Rüden neigen deutlich weniger zu aggressiven Rangkämpfen und auch im sozialen Geflecht in der Tier-Mensch Beziehung kommt es deutlich weniger zu „Auseinandersetzungen“.
Aus eigener Erfahrung:
Bei mir daheim wohnen derzeit 2 kastrierte Rüden. Rico kam mit ca. 8 Monaten aus Teneriffa zu mir und war damals glücklicherweise schon kastriert. Wir sind in unserem früheren Zuhause täglich mit einem großen Hunderudel – teilweise bis zu 30 Hunde – spazieren gegangen und ich habe Rico bis heute noch nie in einem wirklichen Rangkampf erlebt. Das mag sicher auch an seinem Charakter liegen, aber ganz klar hat die frühe Kastration dazu beigetragen. Nachdem Rico ca. ein halbes Jahr sehr unglücklich war, weil er allein als einziger Hund bei mir lebte – trotzdem wir täglich das Hunderudel getroffen haben – zog ein weiterer Hund bei uns ein. Eddy war damals erst 4 Monate alt und noch sehr welpenhaft. Rico und Eddy wurden mehr und mehr dicke Freunde, doch im Alter von ca. 8 Monaten wurde bei Eddy die hormonelle Veränderung sichtbar. Eddy wurde immer unruhiger und sobald wir auf andere Hunde trafen, hing er auch schon hinten drauf. Beim Spiel in der Hundegruppe verwandelte Eddy sich zu Ricos Rucksack und ließ gar nicht mehr von ihm ab. Ob er nun eine „begehrte“ Hündin und einen Rüden – egal ob kastriert oder nicht – vor sich hatte. Was sich hier vielleicht lustig liest, war doch in Wirklichkeit eine wahre Qual für den armen Eddy. Er wusste einfach nicht wohin mit seinen Hormonen. Deshalb wurde es für Eddy höchste Zeit. Die Kastration war ein schneller Eingriff, nach 10 Tagen konnten die Fäden gezogen werden und sehr schnell hat sich sein Verhalten wieder normalisiert. Eine wahre Freude – für Eddy und auch Rico!
Für mich war übrigens völlig klar, dass auch Eddy früh kastriert wird. Meinen früheren Hund Greeky, den ich als Welpen aus Griechenland gerettet habe, ließ ich anfänglich nicht kastrieren. Er ist nie einer läufigen Hündin hinterher gelaufen, hatte nie solche „Rucksackattacken“ wie Eddy und auch nie Rangprobleme mit anderen Hunden. Deshalb habe ich keinen Grund für eine Kastration gesehen. Ein fataler Fehler. Im Alter von 9 Jahren geschah es: Greeky konnte auf einmal keine Häufchen mehr machen. Ich und mein Tierarzt dachten zunächst an eine simple Verstopfung. Doch auch abführende Medikamente brachten keinen Erfolg und sein Bauch blähte sich immer mehr auf. Unser Tierarzt hat ein Ultraschall gemacht und einen großen „Körper“ im Bauch entdeckt. Sofort wurde er einer mehrstündigen Notoperation unterzogen, wobei Greeky sehr viel Blut verlor. Es hat sich herausgestellt, dass sich in seinem Bauch riesige Prostatazysten gebildet haben, die den Darm komplett einquetschten. Während der OP wurde er dann auch kastriert und klar war, dass sich derartige Zysten gar nicht hätten bilden können, wenn er früher kastriert worden wäre. Durch den hohen Blutverlust haben die Ärzte und ich 4 Wochen um das Leben von Greeky gekämpft. Er hat es geschafft und war dann doch – nach unendlicher Medikamentengabe und betropfen – wieder ganz der Alte. Leider haben sich im Alter von 11 Jahren Knoten im Brustbereich gebildet. Diese wurden entfernt und untersucht. Diagnose: bösartiger Brustkrebs – Überlebenschance sehr gering. 6 Monate konnte er noch ein hundsmäßiges, unbeschwertes Leben führen. Dann ging alles ganz schnell und wir haben ihn von seinem Leid befreit.
Für mich gibt es keinen einzigen Grund gegen eine Kastration – aber viele gute Grunde FÜR eine Kastration!
By the way: Oft spricht man bei weiblichen Tieren von einer Sterilisation, bei Männlichen von einer Kastration. Die beiden Begriffe haben aber nix mit dem Geschlecht zu tun. Bei einer Sterilisation werden lediglich die Eileiter durch trennt. Hierbei können die Tiere zwar keinen Nachwuchs zeugen/bekommen, sind aber weiterhin hormonell aktiv. Bei einer Kastration werden beim Rüden die Hoden, bei der Hündin die Gebärmutter entfernt. So wird die Hündin nicht mehr schwanger, bekommt keinen Gebärmutterkrebs, und das Brustkrebsrisiko sinkt (sofern sie vor der 1. -2. Läufigkeit kastriert wird).
Tiere werden also in der Regel generell kastriert, egal ob weiblich oder männlich.
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4 Kommentare:
Hallo,
lesen Sie mal das Buch von Gabriele Niepel "Kastration-pro und contra". Denn es gibt doch sehr viele Gründe gegen eine Kastration. Z.B. dass man einen Hund erst mal erwachsen werden lassen sollte, bevor man ihn oder sie kastriert. Sexualhormone braucht der Hund wie auch der Mensch zum erwachsen werden. Oder lassen wir jetzt auch besser alle kleinen Kinder vorsorglich kastrieren? Lesen Sie wirklich besser das Buch, dann wissen Sie das nächste Mal auch wovon Sie sprechen, anstatt so einen Quatsch ins Internet zu stellen,den dann ahnungslose Hundebesitzer lesen.
Freundliche Grüße
Liebe/r Leser/in,
natürlich gibt es wie in unserem Einitrag erwähnt auch einige mögliche Nachteile einer Kastration - diese sind aus Tierschutzsicht jedoch verschwindend gering bedenkt man die möglichen Folgen, wenn ein Tier nicht kastriert wird.
In in- und ausländischen Tierheimen warten unzählige Tiere auf ein liebevolles Zuhause. Viele von ihnen sterben alleine und ohne einen menschlichen Begleiter. Aus diesem Grund sprechen wir uns für die Kastration von Hunden aus, schlichtweg um das Leid möglicher "Nachkommen" von vornherein auszuschließen. Wir hoffen, dass Sie diesen Ansatz trotzdem verstehen können.
Viele Grüße
Das Dog Blog Team
Gegen eine Frühkastration spricht vor allem das hohe Risiko einer Knochenfehlbildung.
Ich kenne mehrere frühkastrierte Rüden. Alle haben Probleme mit den Hinterläufen.
Auch sind die erwähnten Probleme ("Aufreiten") mit etwas Erziehung schnell in den Griff zu bekommen, ehe sie zur Manie werden. Dagegen hilft eine Kastration dann auch nicht mehr.
Auch gibt es eine großeGefahr bei der Hündin, dass sie zu tröpfeln anfängt. Vor allem bei Boxern.
Sehr schlecht recherchierter Artikel. Zu einseitig.
Liebe Korinna,
danke für Ihren Kommentar - unser
Pro-Kastrationsbeitrag ist keine wissenschaftliche Recherche, sondern viel mehr ein Erfahrungsbericht aus meinem Zusammenleben mit Hunden und meiner beruflichen Erfahrung als Tierarzthelferin.
Zum „aufreiten“: Sie haben sicher Recht, dass ein „Aufreiten“ nicht nur hormonell bedingt ist. Dieses Verhalten ist jedoch besonders bei dem Einsetzen der Geschlechtsreife häufig bei Rüden zu beobachten, was nicht allein durch erzieherische Maßnahmen verändert werden kann. Sicher hat nicht jeder männliche Hund dieses „Verlangen“, wenn er in die Geschlechtsreife kommt. Jedoch weiß ich von einigen Rüden, die diese hormonelle Handlung ganz schnell nach der Kastration abgelegt haben und dadurch deutlich entspannter wurden.
Ein Knochenfehlbildungsproblem bei zu früh kastrierten Hunden ist mir nicht bekannt. Hier gilt es sicher näher zu recherchieren, vor allem auch, wann genau denn die Kastration vorgenommen wurde.
Ein Risiko der Inkontinenz bei Hündinnen nach der Kastration ist sicher in ganz wenigen Fällen möglich, diese sind jedoch aus Tierschutzsicht verschwindend gering bedenkt man die möglichen Folgen, wenn ein Tier nicht kastriert wird.
Wir wollen mit unserer Arbeit und unseren Ansichten ganz bestimmt keinem Hund schaden - doch, wie gesasgt, die Risiken sind unserer Meinung nach so gering, dass das potentielle Leid verursacht durch nicht-Kastration deutlich überwiegt.
Viele Grüße
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